
Die EU will unabhängiger von Russland werden – das gilt nicht nur für die Energieversorgung, sondern auch für das Raumfahrtprogramm. Ein Satellitenstartplatz in Schweden soll zur Großbaustelle werden.
Künftig kann die EU vom eigenen europäischen Territorium aus Satelliten ins All schicken. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zusammen mit König Carl XVI. von Schweden das Esrange Space Center in Nordschweden eröffnet. Gustaf und Ministerpräsident Ulf Kristersson starteten einen neuen Plan zur Stärkung der EU-Lücke bei Kourou in Französisch-Guayana in Südamerika, das zu Frankreich gehört. Auf dem Weg zu mehr Unabhängigkeit von Russland wird dem Komplex bei Kiruna große Bedeutung beigemessen.
Herr Kristersson sagte bei der Eröffnungszeremonie: „Die aktuelle geopolitische Situation – nicht zuletzt der russische Angriff auf die Ukraine – hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass die Europäische Union Zugang zum Weltraum hat“. Dort durchschnitt er gemeinsam mit dem König und dem Vorsitzenden des Komitees das Band in blauen und gelben Symbolen – demnach sind dies nicht nur die Nationalfarben Schwedens, sondern auch der Ukraine.
„Dies ist ein großer Moment für Europa, ein großer Moment für die europäische Raumfahrtindustrie“, sagte von der Leyen. Der Weltraumbahnhof bietet Zugang zum unabhängigen europäischen Weltraum und sichert die notwendige Infrastruktur.
Sie hob auch die Bedeutung von Satelliten unter anderem für die Überwachung des Klimawandels hervor. Die Vorteile von Kleinsatelliten, die von Esrange gestartet werden können, sind enorm. Kleinsatelliten sind auch wichtig für die Sicherheit – unter anderem nutzen ukrainische Streitkräfte sie, um die Bewegungen russischer Truppen zu überwachen. Aus diesen und vielen anderen Gründen wird ihre Kommission einen Vorschlag für eine EU-Weltraumstrategie vorlegen. „Europa hat eine Position im All und wird sie halten“, sagte von der Leyen.
Ergänzung für die Lücke der EU in Französisch-Guayana
Laut dem schwedischen Raumfahrtunternehmen SSC soll Esrange einen neuen Zugang zum Weltraum bieten und damit den EU-Abstand in Französisch-Guayana auf der anderen Seite des Atlantiks stärken. Einerseits müssen Kleinsatelliten aus dem dünn besiedelten und waldreichen Nordschweden gestartet werden, andererseits sollen dort wiederverwendbare Raketen getestet werden. Bislang diente das 1966 in Betrieb genommene und rund 40 Kilometer östlich von Kiruna gelegene Weltraumzentrum hauptsächlich dem Start von hochrangigen Forschungsraketen und Höhenflugkörpern. Der erste Satellitenstart ist für Ende 2023 geplant.
Den Startstandort in Südamerika kann Esrange jedoch nicht ersetzen. Aufgrund seiner Nähe zum Äquator ist letzteres viel besser geeignet, um schwere Nutzlasten in äquatoriale oder äquatorialnahe Umlaufbahnen zu schicken. Das liegt daran, dass sich die Erde am Äquator am schnellsten dreht. Aus diesem Grund haben Raketen dort Schwung, wenn sie mit der Erdrotation nach Osten fliegen. Andererseits eignet sich ein polnaher Satellitenstartplatz wie Schweden, um Satelliten in die Polarumlaufbahn zu schicken. Von dort lassen sich beispielsweise gute Daten für Wettervorhersagen oder für ein besseres Verständnis des Klimawandels sammeln.
„Das europäische Space Shuttle in Kourou in Französisch-Guayana wird weiterhin gebraucht“, sagte Josef Aschbacher, Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Orte in der Nähe des Äquators eignen sich perfekt für den Start geostationärer Telekommunikationssatelliten, die die Erdrotation nutzen, um weniger Treibstoff zu verbrauchen.
Die EU will sich unabhängiger von Russland machen
In Europa hat die Esa in der Vergangenheit den russischen Raketenstartplatz Plesetsk für Satellitenstarts genutzt. So wurde beispielsweise 2018 der Erdbeobachtungssatellit Sentinel-3B ins All geschossen. Doch im Aggressionskrieg Russlands gegen die Ukraine versucht die EU, Russland in vielerlei Hinsicht unabhängiger zu machen.
Laut Aschbacher wird Esrange Plessezk ihn derzeit nicht ersetzen können. „Das ist eine andere Dimension“, sagte er. Satelliten, die früher von Plesetsk gesendet wurden, werden jetzt von Kourou gesendet.
Derzeit können nur etwa zehn Länder Satelliten ins All schicken. Aufgrund der Vorteile täglicher Verbindungen und der Bedeutung von Informationen zu planetaren Veränderungen infolge der Klimakrise erwartet SSC als Betreiber von Esrange eine deutliche Zunahme an Satelliten in der Zukunft. Laut SSC wird die Gesamtzahl der Satelliten bis 2040 voraussichtlich 100.000 erreichen – verglichen mit heute etwa 5.000 betriebsbereiten Satelliten im Weltraum. (dpa)