
Kommentar zur Krankenhausreform
Politik kann nicht nur mit Wissenschaft gemacht werden
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Gesundheitsminister Karl Lauterbach stellte auf einer Bundespressekonferenz seinen Plan zur Krankenhausreform vor.
© Quelle: IMAGO/Chris Emil Janssen
Der Patient lag jahrelang im Koma. Sein Gesundheitszustand verschlechtert sich jeden Monat. Die Lösung wäre eine umfangreiche, aber riskante Operation. Aber niemand will dafür verantwortlich sein. Daher werden immer wieder Anstrengungen unternommen, eine Minimalinterventionstherapie zu erreichen. Leider hat es nicht geklappt.
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Ähnlich lässt sich der Zustand der deutschen Krankenhausversorgung beschreiben. Die Bestandsaufnahme macht ein beeindruckendes Bild: 86 Milliarden Euro fließen jährlich in rund 1900 bettenstärkste Kliniken Europas. Aber das vierte Bett war leer. Deshalb wird die Operation gewissenhaft durchgeführt, obwohl der Gesundheitszustand der deutschen Bevölkerung besser ist als in vergleichbaren Ländern. Hinter jedem Klinikarzt steht ein Case Manager, der die medizinische Behandlung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten optimiert.
20 Prozent der Krankenhäuser sind vom Konkurs bedroht
Ein Beispiel: Im Jahr 2019 wurden in Deutschland auf 100.000 Menschen 315 künstliche Hüften implantiert. Das ist mehr als das Doppelte des Durchschnitts der Industrieländer und damit die höchste Rate weltweit. Gleichzeitig herrscht in der Kinderhalle derzeit Notstand. Und die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich trotz der hohen Ausgaben der Krankenkassen für Kliniken: 60 Prozent der Krankenhäuser schreiben rote Zahlen, 20 Prozent sind vom Konkurs bedroht. Wenn nichts unternommen wird, läuft das ganze System an die Wand.
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Das Problem ist seit Jahren bekannt, doch erst die Corona-Epidemie hat den Handlungsdruck erhöht. Wegen Überlastung verlassen ständig Ärzte und Pflegekräfte die Klinik, was zu Personalengpässen führt. Gleichzeitig hat die pandemiebedingte Verschiebung geplanter Operationen einen Trend ausgelöst: Viele Menschen merken an, dass es ohne Intervention geht, was die Zahl der Behandlungen reduziert und die finanziellen Probleme der Kliniken erhöht. Die Ausbreitung der Seuche hat auch deutlich gezeigt, dass die Finanzierung über eine Pauschale zum Aus führt, weil die Bereitstellung von Kapazitäten nicht berücksichtigt wird.
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Kapitalradar
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Lauterbach sprach von Revolution – und er hatte Recht
Die vom Regierungsausschuss vorgeschlagenen Reformen setzen an der richtigen Stelle an. Einerseits will der Vorstand die perversen wirtschaftlichen Anreize eliminieren, indem er Kliniken Geld dafür gibt, nur für Notfälle da zu sein, wie Feuerwehren. Dann sind sie möglichst nicht auf den Betrieb angewiesen, um wirtschaftlich überleben zu können. Der Vorschlag schlägt jedoch auch eine angemessene Umstrukturierung aller Krankenhäuser vor: spezialisierter und zentralisierter, wobei kleine Krankenhäuser in Gesundheitszentren umgewandelt werden, in denen die Versorgung Vorrang hat und nur geringfügige Eingriffe erforderlich sind.
Karl Lauterbach sprach von Revolution – und er hatte Recht damit. Wenn, ja, wenn diese Reform jemals umgesetzt wird. Denn als Gesundheitsminister der Bundesregierung kann er die Finanzregeln ändern, greift aber nicht in die Krankenhausplanung ein, die Sache des Landes ist. Aber wenn Lauterbach etwas fehlt, dann Verhandlungsgeschick und genug Härte, um mit 16 Ländern klarzukommen. Sie alle werden ihre Verantwortung mit Händen und Füßen verteidigen, ebenso Lobbygruppen, alle werden erbittert um Geld kämpfen.
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Geld, das Lauterbach nicht hat, weil in den nächsten Jahren mit dem GKV-Defizit zu rechnen ist. So überzeugend der Vorschlag der Expertenkommission ist, mit Wissenschaft allein lässt sich Politik nicht machen.