Rares Auto der 1950er-Jahre: Ferrari 195 Inter – Italiener für Fortgeschrittene

Seltenes Auto aus den 1950er Jahren
Ferrari 195 Inter – Mittlerer Italiener

Von Patrick Broich

Millionenwerte Sammlerstücke vom Kaliber eines Ferrari 195 Inter findet man eher in klimatisierten Hallen als auf der Straße um die Ecke. Aber ntv.de hat eine Kopie nördlich von Den Haag aufgespürt und ist sogar damit gefahren.

Fahrberichte zu Ferrari-Modellen aus den frühen 1950er Jahren sind meist nicht so einfach zu bekommen. An Gründen, warum solche Bemühungen scheitern, mangelt es nicht: unzureichender Versicherungsschutz, die vermeintliche Unfähigkeit, widerspenstige Handschaltgetriebe ohne oder nur mit fehlender Synchronisation zu betreiben oder einfach die Unmöglichkeit, ein geeignetes Objekt zu finden. Erst mit der 1952 eingeführten, weit verzweigten Modellfamilie 250 avancierte der italienische Sportwagenhersteller nach und nach zum Serienhersteller – diese Baureihe erreichte mit allen Ausbaustufen und Derivaten kumuliert einen vierstelligen Betrag.

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Das elegante Reisecoupé wirkt kompakt.

(Foto: Patrick Broich)

Andererseits sollen 11 der 195 Inters mit Ghia-Karosserie gebaut worden sein, während insgesamt 28 Exemplare gebaut worden sein sollen, wenn man die von den Karosseriebauern Vignale, Touring und Motto angezogenen Räder mitzählt.

Anders als die Rennversionen, mit denen zeitgenössische Neuwagenkäufer bei Veranstaltungen wie der damals ursprünglichen Mille Miglia oder dem halsbrecherischen Straßenrennen Targa Florio an den Start gingen, waren die Inter-Varianten für gut betuchte Leute gedacht. Sie auf der Straße um die Ecke zu finden, ist eher wie ein Sechser im Lotto. Bei der alljährlichen modernen Mille Miglia in Brescia klappt es aber hin und wieder. Schade eigentlich, dieses außergewöhnliche Stück Autokulturgeschichte hätte ein bisschen mehr öffentliche Sichtbarkeit verdient.

Der Zwölfzylindermotor hat einen Hubraum von nur 2,3 Litern

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Viele Zylinder, aber kleiner Motor: Mehr als 2,3 Liter geht nicht.

(Foto: Patrick Broich)

Deshalb ist der 195 Inter ein eleganter Tourer mit üppig gepolsterten Ledersitzen. Der Innenraum ist voll von edlen Materialien wie Holz und Metall. Dass der Italiener von 1950 durch und durch ein Ingenieursauto ist, zeigt sich nicht zuletzt am Kombiinstrument, das neben Motordrehzahl, Drehzahl und Wassertemperatur auch Auskunft über den Öldruck gibt. Für Laien ist die Ghia-Karosserie schwer einzuordnen, da vor allem die Frontpartie irgendwo zwischen Aston Martin und Moretti rangiert. Kaum jemand würde an Ferrari denken, wenn das markante Emblem nicht die Lösung wäre.

Bevor Sie losfahren, sollten Sie vielleicht wissen, dass der Cavallino Rampante ein ganz besonderer Motor unter der schwarz lackierten Motorhaube ist. Der Zwölfzylinder mit Weber-Doppelvergaser hat nur einen schmalen Hubraum von 2,3 Litern, wofür auch die Modellbezeichnung steht. „195“ gibt nichts anderes als den einfachen Hubraum eines Zylinders an (immer, aber nicht immer, angewandte Regel bei Ferrari) – 195 multipliziert mit der Zylinderzahl ergibt genau 2340 Kubikzentimeter. Abgesehen von dem für einen 12er-Poker untypisch kleinen Volumen ist die Leistung von 135 Pferden nicht gerade überwältigend.

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Das Ersatzrad hat der Sportler immer dabei.

(Foto: Patrick Broich)

Damit keine Missverständnisse aufkommen – der 195 Inter war kaum schwach zu einer Zeit, als Italien mit dem bald auslaufenden Cinquecento und 14 PS seine Mobilität verweigerte. Verglichen mit einem wilden Ferrari 340 America mit weit über 200 PS war der 195 jedoch ein ziemlich braver Gran Turismo, der heute eher kultivierte Liebhaber der Autokultur anzieht als tollpatschige PS-Fetischisten.

Bis zur Höchstgeschwindigkeit singt der Colombo-Motor melodiös

Die Vorfreude, den 195 endlich auf die Straße zu rollen, steigt langsam. Die 2,3-Liter-Minikolben starten mit einem typischen Brummgeräusch: Wie die meisten V12-Motoren der Neuzeit „organisiert“ der 70 Jahre alte Vergasermotor beim Anfahren nicht mit herkömmlichem Lärm, weil der Widerstand des E-Starters dem zu verdanken ist kleiner Zündabstand gleich bleibt. Später begibt sich das vom Designer Gioacchino Colombo entwickelte Gerät in kultivierte Bahnen, bleibt akustisch präsent, wird aber nie zur Ohrfeige – im Gegenteil. Es singt melodisch in Richtung Höchstgeschwindigkeit, regt aber kaum zum ständigen Einsatz aller Reserven an.

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Römische Ziffern sollte der Fahrer des seltenen Italieners beherrschen.

(Foto: Patrick Broich)

Frühe Straßen-Ferrari sind eher elegante Cruiser als rüpelhafte Sportler. Sie müssen sich also nicht getrieben fühlen, besonders wenn Sie das Diva-ähnliche Fünfganggetriebe mit dem stilvollen, mit römischen Ziffern gravierten Schaltknauf bedienen. Nur der erste Gang ist nominell unsynchronisiert, aber Zwischenkuppeln und Anpassen der Geschwindigkeit, wenn Sie beispielsweise vom fünften in den dritten Gang wechseln, kann nicht schaden, wenn Sie möchten, dass der Übersetzungswechsel leise ist.

Der Ferrari 195 wird sicherlich an der Mille Miglia teilnehmen

Nach etwas Eingewöhnung lässt sich dieser Ferrari flink fahren und mit dem großen Lenkrad, das aufgrund des fehlenden Servos natürlich etwas schwergängig ist, zügig durch die Kurven lenken. Sicher, mit einem millionenschweren Gegenstand ein Risiko einzugehen, ist vielleicht keine gute Idee, aber den Drehzahlmesser über die „50“-Marke auf dem Armaturenbrett fahren zu lassen, ist in Ordnung.

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Tachometer, Schalthebel, Lenkrad – auch von innen ist der Ferrari eine Augenweide.

(Foto: Patrick Broich)

Natürlich ist der Italiener nach heutigen Maßstäben nicht wirklich schnell, die Höchstgeschwindigkeit wird in der Literatur mit 180 km/h angegeben – aber es ist eine gewaltige Ansage in der Welt der Supersportwagen von 1951. Autos wie ein Maserati A6 oder der Der moderne Überflieger Ferrari 340 mit seinem kraftvollen 4,1-Liter-Zwölfzylinder ist schneller. Trotzdem – bei deutlich niedrigeren Geschwindigkeiten fühlt sich der 195 Inter wohler, will mit Fingerspitzengefühl sauber auf der Strecke gehalten werden.

Händler Alex von Mozer gibt dennoch bekannt, dass der letzte Vorbesitzer dieses pechschwarzen 195 Inter wiederholt an der seit 1977 im historischen Format ausgetragenen Mille Miglia teilgenommen hat, obwohl laut offiziellen Listen nur die Rennmodelle 195 S und Inter dabei sind nach Motto gekleidet ist erlaubt. Heute dürfen schließlich nur noch Fahrzeuge fahren, die auf der originalen Mille gestartet sind. Doch als sich ein so hochkarätiger Gast ankündigt, scheint das Mille-Miglia-Komitee ein Auge zuzudrücken.

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Ein eleganter Hüftschwung verleiht dem 195 Inter Klasse.

(Foto: Patrick Broich)

Übrigens: Die meisten Passanten werden den Alten wohl kaum als Ferrari identifizieren und schon gar nicht als solch teures Objekt, das für über eine Million Euro über den Ladentisch gehen muss. Es wird von Passanten auf der Straße angestarrt, aber wahrscheinlich bekommt jedes Auto aus dieser Zeit sie. Insofern könnte 195 wohl problemlos für einen Ausflug ins Blaue genutzt werden. Lediglich das für den Kauf erforderliche Kleingeld dürfte dann für die meisten Autoliebhaber das entscheidende Hindernis darstellen.

Der Ferrari 195 Inter ist ein Italiener für fortgeschrittene Fahrer, und er ist nicht nur fahrtechnisch, sondern vor allem wirtschaftlich gedacht.

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