Wie Zigarren-Karl und die „Post“ verschwanden

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Von: Friedrich Reinhardt

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Willy Karl hinter der Theke in seinem Tabak- und Zeitungsladen in der Eckenheimer Landstraße.
Willy Karl hinter der Theke in seinem Tabak- und Zeitungsladen in der Eckenheimer Landstraße. © privat

Früher gab es im Stadtteil über hundert Geschäfte – der Heimatverein dokumentiert sie

In Willy Karls kleinem Laden roch es nach Zigarren. Er verkaufte Tabak, Schreibwaren, Zeitungen und Postkarten, und freitags, wenn Lotto gespielt wurde, standen die Kunden in der Eckenheimer Landstraße Schlange. Ein Bild zeigt Karl im Nadelstreifenanzug hinter der Theke, wie der Verkäufer in einem Herrengeschäft. Auf dem Regal hinter ihm stapeln sich Zigarettenschachteln, vor ihm liegen Zeitschriften auf dem Tresen verstreut.

Es gab auch Fisch

Ursula Herrtwich erinnert sich noch gut an Cigar Karl, das Geschäft ihres Vaters. Für ein paar Kronen konnte man Packungen mit nur vier Zigaretten kaufen. In den 1960er und 1970er Jahren wurde „wie verrückt geraucht“. Das Geschäft lief gut. Bis in die 1990er Jahre. In Eckenheim gab es zeitweise über 120 Geschäfte, Kneipen und Wirtshäuser. Mehrere Metzger, kleine Lebensmittelgeschäfte, Bäckereien. Bis Mitte der 1960er Jahre gab es in der Eckenheimer Landstraße das Fischgeschäft Weber, wenige Meter weiter das Schuhgeschäft Holzinger und in der Sigmund-Freud-Straße die Schreibwaren von Rauch.

Die Liste, die der Heimatverein Eckenheim in diesem Jahr zusammengetragen hat, ist lang. Er listet rund 250 Geschäfte auf. Er will die Geschichte des Eckwohnungsbaus überblicken. Daran arbeitet Herrtwich ebenso wie der Bezirkshistoriker Oskar Pfreundschuh, die beiden Vereinsvorsitzenden Werner und Sylvia Pfeiffer und Arthur Rudolph. Sie möchten erfassen, wann welches Geschäft in welchem ​​Gebäude geöffnet und geschlossen hat. Quellen sind die Schriften der Industrie- und Handelskammer, die Chronik des Eckenheimer Heimatforschers Georg Esser und eigene Erinnerungen.

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– Die Unternehmenskultur war in den 1950er und 1960er Jahren anders, sagt Pfreundschuh. Er stammte nicht aus einer wohlhabenden Familie. “Können wir am Freitag bezahlen, wenn mein Mann sein Geld bekommt”, fragte seine Mutter Reichert im Lebensmittelladen in der Feldscheidstraße. Und im Zeitungs- und Schreibwarengeschäft von Frau Schmitt in der Engelthalerstraße konnte Pfreundschuh Schreibbücher kostenlos erwerben. “Deine Mutter kommt heute Nachmittag.”

Pfreundschuh beschreibt eine Beziehung zwischen Kunde und Verkäufer, die heutzutage selten geworden ist. Shops waren Orte, an denen die Gemeinschaft im Viertel spürbar war. – Alle, die den neusten Klatsch hören wollten, gingen in den Lebensmittelladen von Elli Baummann, sagt Werner Pfeiffer. Rudolph erinnert sich an Feuerbach Eisen- und Haushaltswaren in der Eckenheimer Landstraße. Ein Besuch gehört zu jeder Reparatur dazu. Von “Nägeln bis Aufläufen war alles dabei.” Im wilden Chaos in den Regalen fand jedoch nur Inhaber Heinrich Feuerbach etwas. Er verkaufte Schrauben einzeln, man musste keine ganzen Pakete kaufen. Herrtwich erinnert sich, wie sie jedes Jahr mit der leeren Dose Bonbons vom Weingut Scheid in der Engelthaler Straße abholte. Sie schrieb einmal die Speisekarte für das Gasthaus „Zur Post“, das Scheidene betrieb, weil die Familie keine Schreibmaschine hatte.

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Der Heimatverein will mit seiner Dokumentation zeigen, was Eckenheim verloren hat. Wer heute Schrauben und Dübel braucht, fährt zu einem anonymen Baumarkt außerhalb von Eckenheim. Lebensmittel werden in Supermärkten eingekauft, die auf einen möglichst schnellen Einkauf ausgerichtet sind. Ein Anschreiben ist nicht vorgesehen. Im Kiosk von Klaus-Peter Musch sind nur noch Schreibbücher erhältlich.

Nicht nur die Geschäfte sind verschwunden. Auch Restaurants und damit Raum für Vereinsleben, sagt Werner Pfeiffer. Die Traditionsgaststätte „Zur Post“ schloss 2020. Hier hatte sich der Heimatverein seit jeher zu seinen Veranstaltungen getroffen. Aber nicht nur wegen des Rumsteaks ging man in den Homburger Hof. „Die große Halle war Die Halle für die Vereine, sagt Pfreundschuh. Den Homburger Hof gibt es zum Glück noch, aber um die Jahrtausendwende verlor er seinen Status als Clubbar. Auch der exklusive Kurhessische Hof in der Eckenheimer Schulstraße schloss in den 1990er Jahren. Das Restaurant wurde eher von der Frankfurter Prominenz frequentiert, deren Fahrer draußen warteten. Aber er war eine Institution, die über den Bezirk hinaus bekannt war.

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Die Ursprünge eines Supermarkt-Imperiums

Aus Sicht des Heimatvereins begann mit dem Siegeszug der Supermärkte der Niedergang des Geschäftslebens des Eckhauses. „Die waren günstiger und hatten mit ihrer großen Verkaufsfläche auch eine viel größere Auswahl“, sagt Pfreundschuh. Selbstbedienungsmärkte ließen Verkaufstheken verschwinden. Es ist ein Stück Wirtschaftsgeschichte, in der Eckenheim eine besondere Rolle spielt.

1961 eröffnete Willi Leibbrand den ersten „HL-Markt“ in der Steinkleestraße – benannt nach den Initialen seines Vaters Hugo Leibbrand. Er hatte einen Tante-Emma-Laden in Rosbach. Sein Sohn wollte mehr. Innerhalb von 25 Jahren wurde aus dem ersten Supermarkt von Eckenheim Deutschlands zweitgrößtes Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen, wie der Spiegel 1986 berichtete. Demnach gab es 1970 bereits 70 HL-Märkte in Deutschland. Nachdem in den 1970er Jahren die Preisbindung für die meisten Produkte abgeschafft wurde, begann die Erholung ernsthaft. 1986 umfasste es 2.300 Supermärkte mit Namen wie HL-Markt, Penny, Minimal und Toom. Ende der 1980er Jahre übernahm Rewe dann die Leibbrand-Gruppe. Es war Konkurrenz, gegen die Zigarren-Karl keine Chance hatte.

Friedrich Reinhardt

Das Restaurant
Das Restaurant „Zur Post“: 2020 schloss das traditionelle Eckhaus an der Eckhausstraße für immer. © Heimatverein Eckenheim
Sie dokumentieren die Geschichte: Werner Pfeiffer (von links), Arthur Rudolph, Oskar Pfreundschuh, Ursula Herrtwich und Sylvia Pfeiffer.
Sie dokumentieren die Geschichte: Werner Pfeiffer (von links), Arthur Rudolph, Oskar Pfreundschuh, Ursula Herrtwich und Sylvia Pfeiffer. ©Friedrich Reinhardt

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